Die missverstandene Schlossgeschichte Weinfeldens
Ein Beitrag zur Klärung von Legenden und Anekdoten
Immer wieder geistern durch Fragen und in Gesprächen im Dorf (in der Stadt?) Geschichten über das Schloss Weinfelden, die eigenartig missverständlich sind. Warum gehört dieses Schloss nicht «uns»? Gegenfrage: Was würden wir «als Stadt» damit anfangen? Darum fasse ich hier gerne einmal ein paar wichtige Punkte zusammen, die aus meiner Sicht von Bedeutung sind.
Die Ursprünge den Schlosses Weinfelden liegen weitgehend im Dunkeln. Um 1180 gehörte das «Castrum Winfelden» dem Grafen Hartmann von Kyburg. Aus dieser Frühzeit stammt der Bergfried mit seinem mächtigen Mauerwerk. 1264 starb der letzte Vertreter der Kyburger, worauf sein Erbe an Rudolf von Habsburg ging und daraus Lehen der Freiherren von Bussnang wurde, die es durch ihre Dienstmannen, die Ritter «von Weinfelden» verwalten liessen.
Drei Männer dieses Geschlechts fanden 1315 bei Morgarten auf der Verliererseite den Tod. Ab diesem Zeitpunkt wechselte das Schloss und mit ihm die Herrschaft Weinfelden immer wieder die Eigentümer. 1435 hiess der neue Besitzer Berchtold Vogt. Ihm verdankte die Gemeinde nicht nur die Thurbrücke und ein eigenes Gericht. Verschiedene Freiheiten konnte das Dorf in seiner Regierungszeit erwerben.
Der Adler an der Thurbrücke erinnert an das Brückenrecht von 1453, das Weinfelden Berchtold Vogt verdankt.
Vogt verarmte in den Wirren der Zeit; der «Alte Zürichkrieg» und der «Plappartkrieg» setzten ihm übel zu. Das Schloss ging an seinen Geldgeber Simon Pöttel über und von diesem an die Kornfail und von 1498 bis 1551 an die Muntprat. Sebastian Muntprat scheint 1541 eine grössere Renovation der Burg vorgenommen zu haben. Auch die Schlosskapelle stammt aus der Muntpratzeit.
Ein Nachfahre der Schlossherren, Kaspar Muntprat, wohnte im «Schwärzihof» Weinfelden. Das Anwesen war zu jeder Zeit noch mit Mauern und Türmchen umgeben.
Der «Schwärzihof» in einer historisierenden Darstellung von Rudolf Furter aus dem Jahr 1885.
1612 verkaufte er den «Schwärzihof» an Gedeon Scherb, Gerichtsschreiber und Obervogt von Altenklingen, behielt aber bis 1614 das Wohnrecht. Während dieser zwei Jahre baute er westlich des Farbbrunnens für sich ein prächtiges Haus, das wir im Dorf lange als «Gubler-Haus» kannten, und dann nun nach seinem Erbauer «Muntprat-Haus» heisst. Leider konnte er es nicht lange geniessen, er starb vermutlich bereits 1618. In diesem Jahr begann der Dreissigjährige Krieg, es herrschten bald Hungersnöte und mehrere Pestzüge. Allein im Jahr 1629 sterben zwei Drittel der Weinfelder Bevölkerung daran.
Das «Muntprathaus» an der Frauenfelderstrasse.
Auf das Geschlecht der Muntprat folgte in der Schlossherrschaft je einer von Gemmingen, Fugger und Schellenberg. 1575 traten die Brüder eines evangelischen Zweiges derer von Gemmingen die Herrschaft in Weinfelden an. Von ihnen erwarb 1614 die Stadt Zürich das «wehrhafte Schloss» und die damit verbundenen Herrschaftsrechte. Weinfelden wurde damit faktisch bis zur Staatsumwälzung von 1798 eine «Filiale» der Stadt Zürich.
Schloss Weinfelden / Johann Baptist Isenring (um 1827)
Rudolf Furter verwendete 1895 Isenrings Vorlage für eine Ansicht des Schlosses, die es um diese Zeit gar nicht mehr gab.
Nach der Revolution im Februar 1798 unter der Führung des Befreiungskomitees mit Paul Reinhart an der Spitze behielt die Stadt Zürich zwar noch die Gebäulichkeiten und die Grundstücke, aber der Obervogt wurde zum Schlossverwalter «degradiert». Die Anweisungen zur Amtsführung erhielt er bald von der thurgauischen, bald von der zürcherischen Regierung, da es keine klare Ausscheidung der Zuständigkeiten gab. Das Hin und Her der Kompetenzen zwischen thurgauischen, deutschen, österreichischen und russischen (!) Ansprüchen der helvetischen Kriegszeiten half der Bevölkerung kaum, und schon gar nicht der Bausubstanz des Schlosses. Schon um 1803 waren die meisten Räume des Schosses zugesperrt, die Zinne durchfault und dem Einsturz nahe. Immer wieder wurden wechselnde Verwalter und Pächter angestellt. Die gesamten Besitzungen der Herrschaft, also der Thurberg, der Trauben, die Schwärzi, das Zehnthaus, mehrere Trotten, Rathof, Wälder und Felder wurden nach und nach verscherbelt.
Endlich konnte Zürich 1833 den Rest der Besitztümer (noch ohne das Zehnthaus an der Kirchgasse) an den Mann bringen. Am 2. Juli 1833 ersteigerten die Gebrüder Johannes und Heinrich Wehrli das abgewirtschaftete Ensemble.
Und nun wurde das Schoss Weinfelden zum Spekulationsobjekt der Güterhändler:
Verschont blieb nur die Kapelle. Diese erwarb Elias Keller am 7. Mai 1847 zusammen mit der Ruine und machte daraus bedauerlicherweise eine Wohnung. Er begann einen notdürftigen Wiederaufbau der Schlossanlage, so wie es seinen Bedürfnissen zu entsprechen hatte. Das Wohnhaus des Schlosses wurde eineinhalb Stockwerke niedriger und der Turmhelm weggelassen. In den Räumen entstand eine Wirtschaft.
Und nun geht es Schlag auf Schlag mit den Handänderungen:
Diese Ansichtskarte wurde am 21. September 1901 verschickt.
Der Weinfelder Zehntenplan von 1695 (Original im Bürgerarchiv Weinfelden)
Bildausschnitt aus dem Weinfelder Zehntenplan von 1695
Kupferstich von David Herrliberger, 1740
Am 28. April 1980 verstarb der neue Besitzer, August von Finck senior. Das Schloss ging an seinen Sohn August François von Finck (* 11. März 1930 in München; † 28. November 2021 in London). Bis heute gehört das Schoss der Familie von Finck und wir Weinfelder und Weinfelderinnen dürfen durchaus dankbar dafür sein, dass dieses Wahrzeichen, das zu keinem Zeitpunkt wirklich «uns» gehörte, so sorgfältig und gepflegt über der Stadt steht.
Weinfelden, im Frühsommer 2024, Martin Sax
Quellen: